Lorenzo Montinaro (Taranto, 1998) lebt und arbeitet in Mailand. Nach seinem Studium an der Akademie der Schönen Künste in Rom und an der IUAV in Venedig begann er eine künstlerische Forschung, die sich mit den Themen Erinnerung, Sprache und dem Wandel der Zeit konzeptuell und materiell auseinandersetzt. Seit 2020 ist er Mitglied des multidisziplinären Kollektivs Friche und war 2022 Artist in Residence bei Viafarini in Mailand.
Im Mittelpunkt seiner Arbeit stehen ausgediente Grabsteine, die von Marmorarbeitern in der Nähe von Friedhöfen geborgen wurden. In langsamer Handarbeit entfernt er die ursprünglichen Inschriften teilweise. Diese Eingriffe erzeugen neue sprachliche Formen und poetische oder verwirrende Epigraphen und geben dem Vergessen geweihten Materialien ihre Sichtbarkeit zurück. Die scheinbar destruktive Geste des Löschens wird für den Künstler zu einem Akt der Fürsorge und Neubedeutung.
Er hat an zahlreichen Gruppenausstellungen teilgenommen, darunter „What the Fuck Is Prosperity“ (A plus A, Venedig), „Salon des Refusés“ (Spazio Canonica, Mailand), „Visioni (s)velate“ (Viafarini), „Abitare lo spazio“ (Festival delle arti della Giudecca), „Monumento“ (Bolzano Art Weeks), „ReA! Art Fair“ (Mailand) sowie an einer Einzelausstellung im Casavuota in Rom, kuratiert von Francesco Paolo Del Re und Sabino De Nichilo.
Montinaros Werk zeichnet sich durch seine stark symbolische Sprache aus, in der Drama und Ironie nebeneinander existieren, sowie durch eine Reflexion über die Beziehung zwischen Wort, Materie und Erinnerung in einem kontinuierlichen Prozess der Schichtung und Neuschreibung.
Im stillen Teatro degli Ulivi in Borgo di Campo steht Lorenzo Montinaros Werk als greifbares Zeichen menschlichen Übergangs, eine in Stein gemeißelte Warnung, die dem Vergessen der Zeit trotzt. Der Eingriff des Künstlers in die Natur ist keine flüchtige Geste, sondern ein Akt der Beständigkeit: Die Verwendung von Marmor, einem edlen und unsterblichen Material, verleiht dem Werk eine Feierlichkeit, die an die antike Monumentaltradition erinnert. Doch Montinaro beschränkt sich nicht darauf, Erinnerung auf konventionelle Weise zu zelebrieren. Sein Grabstein, der der üblichen Erinnerungsnarrative entkleidet ist, wird durch Abwesenheit und Subtraktion verwandelt.
Die auf der Oberfläche des Steins hinterlassenen Buchstaben – „eri“, „era“, „ero“ – erhalten die Kraft eines Echos, einer Erinnerung, die die Vergangenheit in Erinnerung ruft und in die Gegenwart zurückbringt. Es sind einfache, aber bedeutungsvolle Worte, die die Fragilität der Existenz und die Veränderlichkeit von Orten widerspiegeln. In diesem Kontext wird der Grabstein zu einem säkularen Denkmal, einem Zeichen des Respekts und der Erinnerung an einen geografischen Ort, der seine menschliche Präsenz verliert. Heute ist Borgo di Campo mit dem Verlust menschlichen Lebens konfrontiert. Montinaro wird so zum Hüter des Vergangenen und unterstreicht die Bedeutung der Erinnerung daran, wer wir waren, damit die Vergangenheit nicht vollständig in der Stille der Gegenwart verschwindet.
Im jahrhundertealten Schatten der Olivenbäume, etwas außerhalb der Stadt gelegen, erhält das Werk zudem einen starken symbolischen und naturalistischen Wert. Der Olivenbaum, Symbol des Friedens, der Widerstandsfähigkeit und der Kontinuität, wird zum stillen Hüter der Erinnerung, Zeuge eines ewigen Dialogs zwischen Mensch und Natur. Die Wahl dieses Ortes verleiht dem Werk eine sakrale Dimension, in der der natürliche Kreislauf des Lebens mit der Beständigkeit der menschlichen Erinnerung verflochten ist.
Die Entscheidung, das Werk an einem Ort zu platzieren, der einst eine warme Grenze war und von militärischer Erinnerung geprägt war, fügt eine weitere Bedeutungsebene hinzu. Der Grabstein, Symbol der ewigen Erinnerung, ist nicht länger nur Zeugnis privater Trauer, sondern wird zum kollektiven Gedächtnis, einer Mahnung für zukünftige Generationen. Dieser Dialog zwischen Denkmal und Landschaft spiegelt sich in Foscolos Konzeption des Grabes wider, das in „Dei Sepolcri“ als wesentliches Instrument zur Bewahrung von Erinnerung und kultureller Identität gilt. Montinaro scheint diese Vision aufzugreifen und macht sein Werk zu einem Ort der Meditation und Erinnerung, an dem die Erinnerung an die Vergangenheit weiterhin mit der Gegenwart im Dialog steht. So verwandelt sich der Grabstein von einem einfachen Erinnerungsobjekt zum Hüter einer Geschichte, einer Gemeinschaft und eines Ortes und bekräftigt, dass die Erinnerung auch in Verlassenheit und Stille weiterleben kann, in Stein gemeißelt und in der Seele derer, die noch beobachten und sich erinnern.